So die Antwort der Patientin, die gestern Nacht über die Rettungsstelle kam und in deren Zimmer es auffällig nach Cannabis riecht….
Die Patientin war mir schon bei Dienstbeginn aufgefallen, aber ncht wegen des Cannabis-Geruches… Ich hörte auf dem Flur lautes Weinen, Reden, teils Schreien, das aus ihrem Zimmer kam. Besorgt betrete ich das Zimmer und finde die Patientin auf dem Boden hockend, völlig aufgelöst, laut weinend und vor sich hinredend. Die langen Haare sind wirr und zerzaust, sie hat zwei verschiedene Socken an, ihr Gesicht ist naß von Tränen. Im Zimmer stehen mehrere Taschen und Tüten, in denen sich ihre Habseligkeiten befinden, alles durcheinander und unordentlich.
Ein typischer psychischer Ausnahmezustand, denke ich, ausgelöst entweder durch ein stark belastendes Ereignis oder eine akute Psychose. Sie hört jedoch sofort auf zu weinen, sobald sie mich bemerkt, und antwortet – zu meinem Erstaunen – völlig geordnet auf alle Fragen.
Sie habe ihren Job verloren, ein guter Freund sei verstorben und dann habe auch noch der Vermieter wegen Eigenbedarf gekündigt. Sie sei zunächst bei einer Freundin untergekommen, dann bei ihrer Mutter. Aber diese habe sie gestern Abend, als sie von einem Kumpel zurückkam, einfach nicht mehr ins Haus gelassen. Ihre Sachen habe die Mutter ihr vor die Tür gestellt und auf Nachrichten oder Anrufe nicht mehr reagiert. Völlig verzweifelt sei sie in den Wald gegangen, wo man sie gefunden und ins Krankenhaus gebracht hatte.
Das klingt wirklich sehr dramatisch und die Patientin tut mir leid. Sie soll sich erstmal beruhigen und etwas ausruhen, sage ich ihr. Ich verspreche, später nochmal wiederzukommen, dann könnten wir ja einen Plan machen. Sicherlich kann auch unser Sozialdienst ihr irgendwie helfen, eine Unterkunft zu finden. Sie bedankt sich und nickt, wirkt erleichtert und beruhigt. Ich bin stolz auf mich.
Kaum verlasse ich das Zimmer, weint und schluchzt sie jedoch wieder herzzerreißend und redet dabei laut mit sich selbst……Hmmm, da war ich wohl doch nicht so erfolgreich….Und später berichten dann die Schwestern von dem Cannabis-Geruch….
Nachdem die Patientin mehrfach vehement behauptet, sie habe kein Cannabis dabei, das Zimmer aber auch noch Stunden später unverändert in einer Duftwolke liegt, ordne ich eine Taschenkontrolle an. Zu dritt beginnen wir, jedes einzelne Teil aus den zahlreichen Taschen und Tüten zu kontrollieren. Schließlich nimmt sie selbst eine Tasche und zieht einen Beutel mit bräunlichen Pflanzenresten heraus. „Nanu, was ist denn das? Ich wußte gar nicht mehr, dass ich das noch habe…“ sagt sie. Und später „Das ist gar nicht meins, ich transportiere das nur für einen Freund.“ und „ich hab da nichts von geraucht!“ Wir finden auch noch einen weiße Tablette: „Keine Ahnung was das ist“. Wir behalten alles erstmal – „Aber die Tablette brauche ich wieder zurück!“ – wodurch sich der Geruch im Zimmer allmählich normalisiert.
Wie versprochen kümmert sich unsere Sozialarbeiterin und besorgt ihr die Adresse einer Anlaufstelle, wo sie erstmal eine Unterkunft bekommen kann, soagar mit Termin und ausgedrucktem Busfahrplan. Das beruhigt sie dann tatsächlich, kurz darauf ist sie frisch frisiert und eigenwillig geschminkt sowie ordentlich angezogen. Sie darf noch eine Nacht bleiben, bekommt Essen und ein Bett und zieht am nächsten Tag von dannen.
Und ihr Eigentum bekommt sie natürlich auch zurück…
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