Hotelrezeption

Ein Hotel in München

Die kleine rundliche Thailänderin steht etwas verloren in der Rettungsstelle, zwei Männer vom Rettungsdienst haben sie gebracht. Sie trägt eine Art Jogginganzug und lediglich gestrickte Wollsocken an den Füßen.

Sie lächelt schüchtern, aber freundlich und antwortet bereitwillig auf alle meine Fragen. Ihren Namen und wo sie wohnt weiß sie – etwa zwei Autostunden entfernt von hier. „Sie saß weinend mit laufendem Motor und auf der Gegenfahrbahn am Steuer ihres Autos!“ berichtet der Rettungsdienst. „Aber wir konnten sie schnell beruhigen und dann kam sie auch mit. Irgendwas ist mit ihrem Mann. Allerdings sie spricht nur wenig Deutsch, ein bisschen Englisch und sonst nur Thai…“

Mysteriös – ich versuche, das Problem einzukreisen und fange erst mal an, die üblichen Sachen zu prüfen: „Wissen Sie, wo Sie hier sind?“ frage ich auf Englisch. Mit großen Augen schaut sie mich an und nickt heftig: „ Ja, ja. In München!“ Dabei huscht ein Lächeln über ihr Gesicht. Nun ja – München ist etwa 600 km entfernt….aber lassen wir das erstmal so stehen. „ Was ist das denn für ein Haus hier?“ frage ich, um zu prüfen, ob sie wenigstens die Situation richtig einschätzen kann. „Ein Hotel!“ jetzt strahlt sie wie ein Schulmädchen.

Da muss ich nun doch intervenieren und versuche, ihren Irrtum zu korrigieren – aber erfolglos: sie behauptet beharrlich, in einem Hotel in München zu sein. Und sie würde gerne hierbleiben. Das ist schon mal gut.

Ich verabschiede den Rettungsdienst und gehe mit ihr ins Behandlungszimmer. Dort erzählt sie dann auf Nachfrage, was passiert sei: Ihr Mann habe ihren Sohn umgebracht und in einem Keller versteckt. Da habe sie Angst bekommen, sei ins Auto gestiegen und nach München zu ihrer Tochter gefahren. Sie habe große Angst vor ihrem Mann, er sei der Sohn von Putin! Sie wisse nicht mehr genau, wann sie losgefahren sei, sie sei schon ein paar Tage nicht mehr zur Arbeit gegangen. Frühe oder aktuelle Krankheiten verneint sie, sie nehme auch keine Tabletten.

Das klingt nach einer wahnhaften Verkennung, aber um ganz sicher zu sein, müsste ich mit einem Angehörigen sprechen. Ich frage, ob sie mit jemandem telefonieren möchte, vielleicht mit ihren Mann? „Nein!“ Das kommt sehr entschieden. Ob ICH ihn denn mal anrufen dürfte? Sie überlegt kurz und verneint auch dies. Das muss ich respektieren. Auch wenn sie offensichtlich etwas „durch den Wind“ ist, darf ich ihre Entscheidung nicht einfach ignorieren. „Darf ich ihre Tochter anrufen?“ frage ich. Damit habe sie kein Problem, aber sie habe ihr Handy nicht mitgenommen – tatsächlich hat sie gar nichts dabei – und die Nummer wisse sie nicht. Leider findet sich die Telefonnummer der Tochter auch nicht im Internet, also muss ich es dabei belassen.

Das Ganze wirkt schon sehr wahnhaft und skurril, also beschließe ich, sie erstmal hierzubehalten. Ich bleibe aus taktischen Gründen bei der Hotelvariante und biete ihr ein Zimmer an. Sie strahlt übers ganze Gesicht, stimmt zu und wirkt erleichtert. Sie wundert sich anscheinend auch nicht, als ihr die Dame von der Rezeption Blut abnimmt und ein EKG schreibt….Geduldig wartet sie im Behandlungszimmer, bis alles fertig ist und folgt mir dann auf die Station. Auf dem Weg frage ich sie, warum sie denn keine Schuhe anhabe – sie trage nie Schuhe antwortet sie.

Auf der Station wird sie von den professionellen Schwestern der Psychosestation freundlich empfangen. Sie bekommt ein frisches Bett und etwas zu Essen und scheint ganz zufrieden. Zum Glück nimmt sie auch die Medikamente ein, die ich ihr gegen die offensichtlichen Wahnideen verordnet habe. Diese zeigen rasch Wirkung: die überwertigen Ideen nehmen im Verlauf der nächsten zwei Tage ab und schließlich erlaubt sie, dass wir den Ehemann kontaktieren. Dieser hatte sich natürlich schon große Sorgen gemacht, da seine Frau ohne ein Wort einfach verschwunden war. Er berichtet, sie habe vor ein paar Monaten Crystal Meth konsumiert und seit dem schon öfter solche Wahnvorstellungen gehabt. Natürlich habe er seinem Sohn nichts angetan und die Tochter wohne gar nicht in München….

Am Tag darauf verlegen wir die Patientin in eine wohnortnahe Klinik. Es geht ihr zwar schon besser, aber sie ist immer noch sehr misstrauisch und nicht so ganz überzeugt davon, dass ihr Mann keine bösen Absichten hegt. Sie steigt nur widerwillig in den Krankentransport ein – wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte sie den Hotelaufenthalt bei uns noch verlängert…

Bild von Rodrigo Salomón Cañas auf Pixabay

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